Hi Ihr Lieben,
da bin ich wieder. Hab lange nichts mehr von mir hören lassen … ich weiß, sorry. Ich will jetzt auch gar nicht lange nach einer Ausrede suchen, warum ich es so lange nicht geschafft habe, über mein Leben zu schreiben. Ich sag, wie es ist: Ich habe mich einfach nicht getraut. Ich schäme mich, dass nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, so wie ich es mir nach inzwischen 10 Monaten Therapie einreden wollte …
Ich bin deswegen auch ziemlich frustriert …
Ich wollte einfach nichts mehr von dem wissen, was da aus meinem Kopf heraus will, denn es wäre ein Eingeständnis. Das Eingeständnis, dass ich wieder Meisterin im Stressen bin und aus diesem Grund auch scheinbar gerade einen Rückfall meiner Angsstörung erlebe. Noch ist es nicht dauerhaft, aber es geht bereits über Tage. Eine Überdosis Cortisol und Adrenalin. Seit sechs Tagen spüre ich wieder diesen Druck. Die Eisenketten haben sich wieder um meinen Oberkörper gelegt und nehmen mir die Luft zum atmen. Heute war es wieder so schlimm, dass der Tag tränenreich und ziemlich anstrengend war. Ich habe nämlich Angst. Angst, dass diese ganze Kacke wieder von vorne losgeht, nur weil ich nicht imstande bin, meinen Stresspegel zu senken. Zu viel Stress, zu viel Druck, zu viele Baustellen. Ich habe das Gefühl, ich versinke immer mehr in einem Chaos aus unbewältigter Psycho- und Alltagsscheiße – geschäftlich, wie auch privat …
Es ist überall so unaufgeräumt bei mir …
… vom Haushalt mal ganz zu schweigen. 😀
Mein Kopf läuft heiß … ich muss so viel erledigen … muss plötzlich so viel Ordnung schaffen … muss mich mit Themen beschäftigen von denen ich nichts verstehe …. bin oft überfordert … bin ständig müde und gereizt …. fühle wieder diese Angst in allem zu versagen, was ich tue und plane zu tun … die Folge: Fluchtinstinkt, inklusive körperlicher Angst – und Fluchtsymptome. Aber ich kann nicht flüchten… ich könnte mich höchstens wieder auf Medikamente einstellen lassen. Ganz ehrlich: Es würde mein Empfinden betäuben, aber nichts an meiner Situation ändern – im Gegenteil, es würde alles nur noch schlimmer machen. 🙁
Ich werde andere Mittel und Wege finden …
Um wieder runter zu kommen, bin ich derzeit viel draußen an der frischen Luft, also fernab von Schreibtisch und Arbeit. Draußen in der Natur schaffe ich es zumindest, mich zeitweise von meinem Kopfchaos zu befreien. Das allerdings ändert nichts an dem Chaos, was zu Hause auf mich wartet. Neben der Arbeit habe ich wieder Unmengen an Papierkram angehäuft, der in den nächsten zwei Wochen geordnet und in vorzeige taugliche Ordner gepackt werden muss. Ziel soll sein, dass der Baufinanzierungsberater mir nicht gleich die Tür vor der Nase zuknallt, auch wenn ich eine von diesen (nicht gern gesehenen) Freiberuflerin bin.
Zudem muss der Keller entrümpelt werden, mein Büro dort neu eingerichtet und so gestaltet werden, dass ich mich dort wohl fühle (was ich im Moment definitiv nicht tue).
Und die Fenster im ganzen Haus habe ich auch schon seit einem Jahr nicht mehr geputzt … 😀
Meine Nachbarin macht das JEDE WOCHE! 😮
Ja, und dann hab ich seit Freitag auch noch mächtig Holz vor der Hütte …
Genau genommen vor der Garage, was entsprechend zersägt und gespaltet werden muss.
Apropos …
An dieser Stelle einen herzlichen Dank an unseren geduldigen Kettensägen-Coach, der sich die Zeit genommen hat, um uns (absolut Ahnungslosen) den Umgang mit Kettensägen und Co. nahezubringen. Zur Erklärung: Ich hatte panische Angst vor Kettensägen und habe mich fast 3 Jahre um die Nutzung gedrückt. Jetzt ist unser Holzlager leer und ich muss für Nachschub sorgen. D-A-N-K-E, Martin! 🙂
Ja, vor Sägen habe ich echt großen Respekt …
Apropos, kennt Ihr die Filmreihe Saw? 😀
Ich fand übrigens nur den ersten Teil so richtig gut. Ein genialer Psychothriller. Aber die folgenden Teile?! Hallo? Was ist denn da passiert? Nach Teil drei bin ich sogar komplett aus der Serie ausgestiegen, weil es immer bescheuerter, unlogischer und kranker wurde. Was viele wahrscheinlich gar nicht gedacht haben: Splatter ist nämlich überhaupt nicht mein Ding … Zombies übrigens auch nicht … ja, Zombies und Vampire finde ich sogar richtig Scheiße.
Ups, abgeschweift…
Sorry…
Egal…
Meine Nachbarin hat mir gestern eine Tischkreissäge zur Holzverarbeitung angeboten … 😮
Ich habe abgelehnt …
Nein, ich bleib bei der Mädchenkettensäge (Elektro) …
Wie gesagt, ich habe im Moment viel um die Ohren, somit auch viel Stress, deshalb spielen Angst und Flucht auch wieder eine große Rolle in meinem Leben, aber in kämpfe weiter … ohne Tabletten! Soll heißen: Selbst wenn ich den ganzen Tag unter Atemnot leide, nervös bin, nah am Wasser gebaut und wie ein verschrecktes Reh herumlaufe – ich werde einfach weitermachen, mich an jeden Strohhalm krallen, den ich finden kann und irgendwie auf Besserung hinarbeiten.
Und manchmal erlebe ich Linderung und Besserung durch verstehen und das hatte ich letzte Woche gleich zweimal …
Stichwort: Smalltalk!
Ich kann kein Smalltalk. Nein, ich bin absolut nicht fähig bei spontanen Begegnungen artgerecht zu kommunizieren und finde daher zufällige Begegnungen (unabhängig meinen sozialphobischen Zügen) immer sehr schwierig. Steht plötzlich jemand Unerwartetes vor mir, erschrecke ich mich zunächst, schaffe es vielleicht gerade noch zu einem „Aaah! Hallo! Wie geht´s!“, dann herrscht in meinem Kopf auch schon Smalltalk-Panik. Nein, das habe ich abgeklärt, das ist nichts, was therapeutisch weiter behandelt werden müsste. Ich bin einfach ein Mensch, der für Oberflächlichkeiten, wie Smalltalk, nicht gemacht ist. 🙂
Herrscht Smalltalk-Alarm, wird in meiner Erinnerungsbibliothek hektisch nach dem Buch „Wie geht Smalltalk“ gewühlt. Ich versuche innerhalb von Sekunden die richtigen Worte zu finden, entdecke dort oft aber nur so unglaublich bescheuerte Sätze wie „Schönes Wetter heute!“ oder „Lang nicht mehr gesehen!“ oder „Wo wohnst du jetzt eigentlich?“
Ja, das sind so meine Standards. Bin ich mit den Sätzen durch, folgt die Sprachblockade. Die finde ich am Schlimmsten. Peinlich berührtes Anschweigen, was bei meinem Gegenüber oder bei mir dann meist den Satz „Ich muss dann mal weiter, bin spät dran!“ auslöst.
Ich entziehe mich weitgehend solchen Begegnungen, in dem ich mich beim Einkaufen verstecke oder manchmal auch einfach so tue, als ob ich jemanden nicht sehe oder einfach vorgebe, keine Zeit zu haben … sorry, Ivonne (der ich heute morgen davon gelaufen bin) … ich war aber auch echt Scheiße drauf heute morgen. 😀
Die Smalltalk-Antworten sind (mit entsprechendem Dialekt) sogar noch bescheuerter …
„Nä, nä, da mähste nix!“
„Joah, joah dat!“
„Muss! Muss!“
„Immer wigger!“
Oder wie Ivonne heute Morgen verlauten ließ: „Schlechten Menschen geht es immer gut!“ 😀
Letzten Freitag hatte ich aber ein Smalltalk-Erlebnis, der ganz besonderen Art …
Ja, der Thomas hat mir am Freitag Abend das Gegenteil von Smalltalk gezeigt und nicht nur mich, sondern auch mein Empfinden damit vollkommen überrascht.
Ich kam gerade vom Holzholen und sah aus wie ein Schwein. Lehm verschmierte Kleidung und Schuhe, dreckige Finger etc., aber ich dachte: Scheiß drauf! Ich zieh mich jetzt nicht noch um für Autowaschen und Einkaufen. Sieht mich ja eh keiner.
An der Tankstelle begann ich dann fieberhaft den Kampf mit dem Staubsauger – und wer diese dämlichen Saugschläuche kennt, weiß sicher, wie dieser Kampf aussah. Ich steckte gerade noch im Kofferraum, als der Sauger plötzlich ausging und ich vollkommen genervt beschloss aufzugeben, als mich plötzlich jemand ansprach:
„Hey, ich dachte, du schreibst gerade einen Bestseller? Da hast du noch Zeit, um dein Auto zu saugen?!“
Ich zuckte erschrocken zusammen, drehte mich um und sah Thomas – aber ein Thomas von der netten Sorte. 😀
Mein erstes Empfinden, hatte etwas von erwischt werden, mein erster Gedanke: FUCK! SMALLTALK ALARM!
Und prompt überforderte mich diese Begegnung mit Thomas schon in den ersten 5 Sekunden und löste auch ein Angstgefühl aus. Hilfe, was soll ich sagen? Oh Gott, wie ich aussehe? Der meint jetzt auch ich hätte keine Waschmaschine und Handseife. Ich werde mich blamieren! Kann er nicht einfach wieder gehen? BITTE!
Höflich, wie ich bin, stammelte ich irgendetwas von: „Ja voll Scheiße, Auto saugen, voll doof, ist aber irgendwie dreckig geworden, joa, joah dat, schönes Wetter heute … bla, bla, bla!“
Gott, war das peinlich …
Doch ich spürte an seinem Blick, dass ihn mein klägliches Smalltalk-Getue genau so wenig interessierte, wie mich es interessiert hätte, wenn ich es von ihm hören täte. Das irritierte mich noch mehr und ich bekam auch keinen weiteren Ton heraus. Doch dann passierte plötzlich etwas Unglaubliches: Er trat näher, so als wolle er mir etwas sagen, was für den Rest der Tankstelle nicht bestimmt war und sagte:
„Hör mal, dein Blog … hast du das echt alles so erlebt? Mann, das ist so krass und ist so Hammer geschrieben… ich hab das so gefeiert … bla, bla, bla … so psychische Probleme kenne ich ja auch … bla,bla,bla!“
Mann, Alta! Wie von Wunderhand löste sich bei dieser daraus erfolgenden ungezwungenen, tiefsinnigen und ehrlichen Unterhaltung all meine Anspannung. Ich hätte mich stundenlang weiter an diesem Staubsauger unterhalten können, ohne mich unwohl zu fühlen (wenn mein Mann nicht deswegen fast eine Suchanzeige aufgegeben hätte). 😀 Ich war voll in meinem Kommunikationselement – was jetzt nicht heißt, dass ich ständig über psychische Probleme reden will/muss. Mich über Kindererziehung, Geocaching oder den letzten Tatort zu unterhalten finde ich auch klasse. Ich muss nur spüren, dass mein Gesprächspartner Interesse an diesem Gespräch hat … es muss ungezwungen, freiwillig und nicht aus irgendeiner veralteten Höflichkeitsform erfolgen.
Nach dieser Begegnung mit Thomas habe ich wieder etwas Neues gelernt: Wenn du nicht gesehen werden möchtest, wirst du erst recht gesehen und meine Art des Smalltalks muss einfach unter die Oberfläche gehen (nur ein bisschen), dann habe ich auch keine Probleme mit zufälligen Begegnungen.
Mit anderen Worten:
Nächstes Thema …
Das habe ich als Zweites gelernt …
Es ist ein ganz wichtiges Thema und brennt derzeit wie Feuer auf meiner Seele …
Ich glaube, ich hatte das Thema, in Verbindung mit einem (kindlichen) Angstverhalten meinem Onkel (väterlicherseits) gegenüber mal angeschnitten … aber das Thema zieht bei mir weitere Kreise.
Es zieht wahrscheinlich bei jedem weite Kreise…
Es steckt nämlich in jedem von uns …
Das innere Kind …
Kaum wahr und erst recht nicht ernst genommen …
Seine unsagbare Wirkung auf unser erwachsenes Sein wird vollkommen unterschätzt. In der letzten Therapiestunde wurde ich schmerzlich wieder an seine Existenz erinnert …
Und wer es in sich findet, ernst nimmt und als Teil seines Seins annimmt, wird viele Antworten auf Fragen finden…
Bis bald!